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Daumenregeln im Alltag

Methoden
Lernen & Entscheiden
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Nico Litschke • 10.04.2024 • 3 min

Wie sollten wir Entscheidungen fällen? Lauten vielen Ökonomen oder Forschern sollten wir Zahlen, Daten, Fakten statistisch analysieren. Die Realität sieht häufig anders aus: Ob Alltag oder Geschäft - oft entscheiden wir spontan. Wir verwenden Daumenregeln, sogenannte »Heurisitiken«. Das ist keineswegs unprofessionell, wie die Forschung um Gerd Gigerenzer & Co. zeigt. Im Gegenteil: Mit Daumenregeln können wir korrekter, schneller und weniger riskant entscheiden. Ich erkläre in diesem Beitrag kurz, warum das so ist und welche Daumenregeln ich nutze.

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Inhalt

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Was sind Daumenregeln und warum funktionieren sie?

Daumenregeln, sind »die Kunst, mit begrenztem Wissen und wenig Zeit zu guten Lösungen zu kommen«[1]

»Mentale Abkürzungen« könnten wir auch sagen. Im Supermarkt mache ich das so: »Es muss möglichst unverarbeitet und bunt sein.« Dann laufe ich fast nur mit frischem Gemüse, Obst, Früchten, Molkeprodukten sowie unverarbeitetem Fleisch aus dem Supermarkt. Ich muss nicht aufwändig die Inhaltsstoffe studieren. Jeder kann auch einen Ball fangen, ohne Differenzialgleichungen zu lösen (die Umkehrung gilt vermutlich nicht).[2]

Daumenregeln schlagen oft Modelle bei Prognosen, wie die Forschung von Gerd Gigerenzer & Co. aufzeigt. Bei Minimum-Varianz-Aktienportfolios, technische Chartanalyse, Funktionspunktschätzungen oder Regressionsanalysen setzt häufig ein sogenanntes »overfitting« ein. D. h. das statistische Modell wird zu eng auf die Vergangenheit angepasst. Da die Zukunft in der Regel anders verläuft, ist die Prognose dann falsch. Daumenregeln lassen mehr Spielraum und erlauben genau deshalb korrekte Prognosen.[1][2]

Mit Daumenregeln sparen wir Zeit und entscheiden häufig besser. Es gibt aber noch einen dritten Grund, warum ich Daumenregeln so wichtig finde: Ich kann sie in der Hektik des Alltags abrufen. Bei verkopften statistischen Modellen und Entscheidungstheorien gelingt mir das nicht. Dadurch wird deren Nützlichkeit massiv eingeschränkt. Daumenregeln lassen sich effektiv und effizient einsetzen – reproduzierbar.

Was ist nun besser: Modell oder Daumenregel? Die Frage ist falsch gestellt. Es kommt aus meiner Sicht darauf an, wie korrigierbar die Entscheidung ist:

  • Daumenregel im Alltag und bei leicht korrigierbaren Entscheidungen, z. B. Geschäftsalltag, Wertpapiersparplan, Argumentieren in Meetings, Einkauf.
  • Modelle bei Ausnahmen und schwer korrigierbaren Entscheidungen, z. B. Fahrzeugdesign, Brückendesign, Hausbau

Bei kritischen Vorhaben kombinieren wir beide Ansätze: Die Daumenregel „Führt ein Einfachfehler zum Systemausfall?“ hilft uns im Alltag, ein solides Design zu entwickeln. Anschließend sichern wir dieses durch eine formale Sicherheitsanalyse ab. So müssen wir nicht ständig aufwändige Modelle parat halten, sondern setzen sie gezielt ein, wo es nötig ist. Die Ansätze ergänzen sich optimal und ermöglichen eine effiziente sowie sichere Entwicklung.

Daumenregeln im Alltag

Nachfolgend keine komplette Sammlung von Daumenregeln, aber solche, die ich für sehr wichtig halte. Außer den Universal-Heuristiken. Sie greifen in fast jeder Lebenslage:

Universal-Heuristiken

  • Gute Dinge überdauern die Zeit (Lindy-Heuristik)[3]
  • Vertraue niemanden, der nichts zu verlieren hat (kein Skin-in-the-Game)
  • »Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst«[4]
  • »It’s never what we don’t know that stops us. It’s what we do know that just ain’t so.«[5]
  • Nur, weil es ein gutes Bauchgefühl erzeugt, ist es noch nicht wahr

Kooperations-Heuristiken

  • An den Taten sollst du sie erkennen
  • Wem du im Kleinen nicht vertrauen kannst, dem vertraue erst nicht im Großen
  • Arbeit fließt immer dort hin, wo sie gemacht wird
  • Wer ohne Gegenvorschlag ablehnt, hat keinen Bock mitzumachen
  • Demotivation lässt sich nicht weg-managen
  • Ein volles Blatt zu bewerten, ist ungleich einfacher als ein leeres Blatt zu füllen
  • Bullshit zu widerlegen ist 10x aufwändiger, als Bullshit zu behaupten

Engineering-Heuristiken

  • Know Thy Topic!
  • Wenn es schön/elegant aussieht, taugt es
  • Führt ein Einfachfehler zum Ausfall?
  • Kann ein Test daraus abgeleitet werden?
  • Ist es für einen Dritten gut lesbar?
  • Wie gut kennen wir die Technologie?
  • Neues so früh wie möglich umsetzen

Produktiväts-Heuristiken

  • Es gibt keinen Hack. Arbeite!
  • Gemacht wird, was im Kalender steht
  • Inbox Zero: Sortiere alle Posteingänge hinsichtlich der nächsten Schritte
  • 5min Regel: Erledige es sofort, wenn es weniger als 5min dauert
  • »Automate the Boring Stuff« (A. Sweigart)

Investieren

  • There are people who don't know and people who don't know they don't know
  • Time in the market, beats timing the market
  • Buy and Hold forever
  • Lege nicht alle Eier in einen Korb
  • Never bet against America (W. Buffett)

Gesundheits-Heuristiken

  • You cannot out crunch a bad diet
  • »Train hard, study well, eat and sleep plenty« (Master Roshi)
  • Kaufe im Supermarkt möglichst unverarbeitete und bunte Lebensmittel
  • Use it, or lose it

Fazit

Daumenregeln vereinfachen zuverlässig unseren Alltag. Deshalb sind sie so wertvoll. Was halten Sie von meinen Daumenregeln? Welche Ihrer Daumenregeln erleichtern Ihnen den Alltag? Teilen Sie Ihre gerne Ihre besten Tipps!

Ihr, Nico Litschke

Endnoten

  1. Gigerenzer, G., & Brighton, H. (2009). Homo heuristicus: Why biased minds make better inferences. Topics in Cognitive Science, 1, 107–143.
  2. Gigerenzer, G. (2008). Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition. 1 Auflage. Goldmann, München.
  3. Taleb, N. N. (2018). Skin in the Game. Das Risiko und sein Preis. 1. Auflage. Penguin, München.
  4. Foerster, H. von (2006). Sicht und Einsicht. Versuche zu einer operativen Erkenntnistheorie. Carl-Auer Verlag, Heidelberg.
  5. Das Zitat wird u.a. Mark Twain zugeschrieben, vgl. Quoteresearch (2018). It Ain’t What You Don’t Know That Gets You Into Trouble. It’s What You Know for Sure That Just Ain’t So. Abgerufen am 18.11.2024 von https://quoteinvestigator.com/2018/11/18/know-trouble/